Europa zuerst!
Im Leitartikel des Spiegel der vergangenen Woche (Nr. 6/04.02.2017) fordert Klaus Brinkbäumer Deutschland dazu auf, sich zu wappnen. Sich dazu zu wappnen, sich gegen „den 45. Präsidenten der USA und dessen Regierung“ zu stellen. Diese Einschätzung halte ich für richtig. Aber es wird nicht reichen. Es ist an der Zeit gegenzuhalten. Nicht nur gegen einen amerikanischen Präsidenten, der es für richtig hält, sein Land abzuschotten und mit geradezu diktatorischen Mitteln zu regieren. Es ist auch Zeit gegenzuhalten in Deutschland und in Europa. Gegen Ausgrenzung, Nationalstaaterei und gegen den Zerfall der Europäischen Union. Positiv formuliert ist es an der Zeit einzutreten. Einzutreten für unsere freiheitlich, demokratische Grundordnung. Für eine weltoffene, tolerante Gesellschaft, in der jeder nach seiner Façon glücklich werden kann und zwar unabhängig von Geschlecht, nationaler Herkunft, religiösen Ansichten oder sexueller Orientierung. Einzutreten für eine weitere europäische Integration.
Die Entwicklung der Europäischen Union hat uns – zumindest in den sogenannten alten Bundsländern – nahezu 70 Jahre Leben in Frieden und Freiheit gebracht. Im gleichen Zeitraum kann die große Mehrheit unserer Bevölkerung auf eine Periode ungekannten Wohlstands und sozialer Sicherheit zurück blicken. Vergessen schienen die Zeit der Abschottung von unseren Europäischen Nachbarn und das Setzen auf nationale Egoismen, die unser Land im 20. Jahrhundert zweimal in einen Weltkrieg und an den Rand des Untergangs geführt hatten. Lange her und überwunden. Doch das Jahr 2016 hat diese alten Gespenster jäh wieder hervor geholt. Großbritannien mit dem „Brexit“, Frankreich mit dem Front National, die Niederlande mit der Partij voor de Vrijheid und ihrem Vorsitzenden Geert Wilders, Deutschland mit der AfD und last but not least, die USA mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten. Nationalismus und Abschottung scheinen wieder salonfähig zu sein.
Doch diese Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit ist falsch. Ja, viele Menschen haben Angst vor der Zukunft und sehen ihren sozialen Status durch Flüchtlinge oder die Globalisierung bedroht. Man mag der Europäischen Union in Teilen überbordende Bürokratie und auch einen gewissen Mangel in ihren demokratischen Strukturen vorwerfen können. Aber das kann die Vorteile, die wir mit ihr bekommen haben nicht im Ansatz schmälern. Frieden, Freiheit, Wohlstand. Gegen das Gefühl von Menschen, dass einer dieser Punkte bedroht ist, hilft es nicht die Institution zu zerlegen, die sie uns gebracht hat. Nein. Die Antwort muss lauten mehr Europäische Union. Europa muss weiter gedacht werden. Weiter als Binnenmarkt, Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Agrarpolitik. Die Schwächen liegen in der sozialpolitischen Dimension, was auch Mitglieder des Europäischen Parlaments wie Jakob von Weizsäcker feststellen (vgl. www.fes.de/de/politik-fuer-europa-2017-plus/detailseite-wirtschafts-und-sozialpolitik-in-europa/europas-fehlende-achse-sozialpolitik/). Es ist Zeit für eine echte europäische Sozialpolitik. Europa jetzt erst recht. Ein soziales Europa zuerst!